Museumsmagazin 2.2018
Martin Roemers über die Ausstellung „Relikte des Kalten Krieges“
„Der Kalte Krieg war Teil meines Lebens“
Interview: Ulrike Zander
Die Fotoserie „Relikte des Kalten Krieges“ von Martin Roemers wird ab dem 16. Mai 2018 im Haus der Geschichte in Bonn gezeigt. Die Ausstellung präsentiert die Sicht Roemers (Jahrgang 1962)
auf das, was vom Kalten Krieg übrigblieb. Das museumsmagazin sprach mit dem niederländischen Fotografen über sein Fotoprojekt, das er zwischen 1998 und 2009 aufgenommen hat.
mm Ihre Fotografien erinnern – zum Zeitpunkt der Aufnahmen fast zehn bis zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion – an die Zeiten des Kalten Krieges. Was hat Sie zu diesem Thema motiviert?
Roemers Ich habe als Fotograf einige Projekte bearbeitet, um die Folgen von Kriegen und Konflikten für die Menschen sichtbar zu machen. Zum Beispiel habe ich Soldaten fotografiert, die zum Krieg beigetragen haben, aber auch die Opfer des Krieges. In der Fotoserie „The Eyes of War” habe ich durch den Zweiten Weltkrieg erblindete Menschen fotografiert. Ganz aktuell habe ich Porträts von Soldaten der ISAF in Afghanistan gemacht. Damit zeige ich die Folgen für Menschen auf, aber Kriege betreffen auch Landschaft und Architektur – überall zeigen sich Spuren des Krieges. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass ich niemals meinen eigenen Konflikt veranschaulicht habe, in dem ich großgeworden bin – den Kalten Krieg. Dieser Krieg wurde nie- mals Realität in Europa – diese Ära endete sehr plötzlich. Man konnte auf einmal alle Orte besuchen. Das war der Grund, warum ich mein Fotoprojekt begonnen habe, die Relikte des Kalten Krieges zu fotografieren. Ich startete 1998 mit dem Fotoprojekt, hatte aber auch schon 1991 erste Fotografien angefertigt. Ich war sehr daran interessiert, welche Strukturen die Russen in Brandenburg zurückgelassen hatten. Für den Kalten Krieg wollte ich Landschaften, Infrastruktur und Architektur sichtbar machen, daher begann ich mit der Fotoserie „Relikte des Kalten Krieges”. Anfang der 1990er Jahre ver- ließen die Russen ihre Stützpunkte und ich besichtigte einige davon in der Nähe von Potsdam. Es war interessant, aber es befanden sich immer noch Menschen dort. Daher beschloss ich, diese Orte ein paar Jahre nicht aufzusuchen, denn wenn solche Orte jahrelang sich selbst überlassen bleiben, kann man sehen, dass die Zeit den Ort beeinflusst: Die Natur übernimmt, der Zerfall beginnt. Beson- ders der Zerfall ist symbolisch für das Ende dieser Ära. Daher ließ ich das Projekt eine Weile ruhen und begann erst wieder 1998 zu fotografieren – dann allerdings über elf Jahre lang.
In meiner Jugend war der Kalte Krieg Teil meines Lebens, er war in allen Nachrichten präsent, Gesprächsthema zahlreicher Diskussionen in der Schule. Daher stellt mein Fotoprojekt über diesen Konflikt auch eine Art Dokumentation der Zeit dar, in der ich aufgewachsen bin.
mm Wie hat sich Ihr Bild vom Kalten Krieg durch die Arbeit an Ihrer Dokumentation verändert?
Roemers Als ich das Fotoprojekt begann, erhielt ich viele Hintergrundinformationen von Menschen, die im Kalten Krieg eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel von einem ehemaligen Armeegeneral und ebenso von einem Gründer der Friedensbewegung in den Niederlanden. Daraus lernte ich eine Menge. Ich arbeitete über zehn Jahre an diesem Projekt. So viele Orte, die nun zugänglich waren, erwiesen sich als unglaublich interessant, sie wiesen so viel mehr Infrastruktur auf, als ich zuvor angenommen hatte. All diese Bunker, Kontrollanlagen, Militärstützpunkte, Depots für Nuklearwaffen – sie alle gründeten sich aus derselben Angst heraus, bzw. bildeten die gleiche Verteidigungsstrategie. Ich war erstaunt über die Vielzahl dieser Relikte.
mm Sie haben für die Relikte des Kalten Krieges einen Motivwechsel vorgenommen. Was ist schwieriger zu eruieren: Spuren bei Menschen oder in Landschaften?
Roemers Es ist eine andere Herangehensweise. Ich habe Porträts angefertigt, die Menschen aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass ein Gesicht nicht ausreicht, um die Geschichte eines Krieges zu erzählen, es kann funktionieren – zum Beispiel habe ich in Afghanistan Porträts gemacht, die das zum Ausdruck bringen –, aber in meinen anderen Projekten wollte ich nicht nur das Gesicht fotografieren, sondern auch die Geschichte der Menschen erfahren. Diese Menschen haben so viel über den Krieg zu erzählen, sodass ein Foto nicht ausreicht, man braucht mehr Informationen. Für die Relikte des Kalten Krieges braucht man ausschließlich das richtige Bild, die richtige Landschaft. Es gab viele Landschaften, viele davon waren für mich als Fotograf nicht so interessant, aber einige hatten die richtige Atmosphäre und somit eine Geschichte, die es zu erzählen galt. In diesem Fall bin ich als Fotograf vielmehr auf das Bild an sich fokussiert. Bei den Porträts war es immer eine geteilte Angelegenheit: Eine Hälfte war das Foto, die andere Hälfte das Interview.
mm Sie haben die unterschiedlichsten Kriegsorte bereist: Schutzbunker, Übungsplätze, Versorgungslager, Schrotthalden, Soldatenfriedhöfe – in wieweit unterscheiden sich diese Orte in den jeweiligen Ländern, die Sie besucht haben? Gibt es Unterschiede zwischen der westlichen und östlichen Seite des „Eisernen Vorhangs“?
Roemers Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Vor allem die unterirdischen Anlagen erinnerten an den Film „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben”, sie waren gespenstisch. Sie haben alle die gleiche Atmosphäre, ob in West- und Ostdeutschland oder in Russland.
mm Hat Sie das überrascht?
Roemers Eher nicht. Viele der Anlagen wurden während des Kalten Krieges gebaut. Was mich überrascht hat war, dass viele Anlagen mehrere Geschichtsebenen hatten. Zum Beispiel waren dort Militärstützpunkte oder Bunkeranlagen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, die dann auch im Zweiten Weltkrieg benutzt und danach geschlossen wurden. Als dann ein neuer Konflikt entstand, wurden sie wieder geöffnet und modernisiert. Diese vielen Schichten sind interes- sant.
mm Gibt es ein Bild in der Ausstellung „Relikte des Kalten Krieges“, das diese Geschichtsebenen besonders deutlich visualisiert?
Roemers Beispielsweise die Fotografie vom Militärübungsplatz in Alten- grabow in Sachsen sagt viel über den Geschichtsverlauf aus: Die Schießanlage stammt aus dem Kaiserreich, somit trainierten dort deutsche Truppen für den Ersten Weltkrieg. Im Hintergrund sieht man einen Bunker mit großen Löchern auch aus der Kaiserzeit. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war es ein Übungsplatz der Wehrmacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Russen und hinterließen dort einen russischen Panzer. Nun nutzt die Bundeswehr diesen Ort als Schießanlage, man sieht es an ihrem Schild im Hintergrund. Es ist ein sehr symbolisches Bild.
mm Vor allem für die Deutschen ist die Berliner Mauer das Symbol des Kalten Krieges. Wie und wo haben Sie Spuren der Originalmauer gefun- den?
Roemers Ich fand viele Teilstücke – natürlich vor allem in Berlin. Dort war ich in den frühen 1980er Jahren und auch danach noch ein paar Mal. Als ich die Mauer für mein Fotoprojekt fotografieren wollte, sah ich mich nach dem um, was von der Originalmauer übrig geblieben war, aber es ist nicht mehr viel authentische Mauer da. Sie ist übermalt worden oder wurde an anderen Orten gezeigt, wie zum Beispiel die East Side Gallery. Die Mauer wurde so oft fotografiert, dass ich mich gefragt habe, was ich noch hinzufügen könnte. Ich sah mich an der ehemaligen innerdeutschen Grenze nach Resten der Mauer um. Es gibt viele, aber sie waren alle wie in einem Museum inszeniert – frisch gestrichen, neue Stangen am Zaun, Souvenirshops und so weiter. Es war nicht mehr authentisch, sodass ich es fast aufgab, die Mauer fotografieren zu wollen, aber dann fand ich ein Stück der Originalmauer in Thüringen, leider auch mit Graffiti, aber das war in Ordnung, es ist immer Graffiti zu finden, aber keiner hatte dieses Mauerstück verändert. Daher habe ich es für mein Fotoprojekt benutzt.
mm Auf einer Ihrer Fotografien ist der Behandlungsstuhl eines Frauenarztes im ehemaligen sowjetischen Militärhospital von Jüterbog zu sehen. Es wirkt wie eine Filmszene. Was genau zeigt das Bild aus Ihrer Sicht?
Roemers Wenn man dieses Bild zum ersten Mal sieht, dann ist es sehr leicht zu missinterpretieren, weil es auch ein wenig gespenstisch aussieht. Es ist ein skurriles Bild. Ich fertigte dieses Foto an, weil es ein absurder Raum war, aber die Reaktionen gerade auf dieses Bild waren sehr interessant. Es gab eine Ausstellung, in der mich ein Ehepaar ansprach und meinte, dass sie besonders die russische Folterkammer sehr erschreckt habe. Ich hatte keine Ahnung, was sie meinten – welche Folterkammer? Sie zeigten mir das Bild aus dem Militärhospital und dachten, dass der Stuhl ein Folterstuhl sei, dabei gehörte er zu einem Hospital. Das war seltsam.
mm Im Regierungsbunker bei Marienthal an der Ahr vereinen sich auch mehrere Geschichtsebenen: Die technische Moderne verbindet sich hier mit der Geschichte zweier Weltkriege und dem Kalten Krieg. Welchen Eindruck hat der Regierungsbunker auf Sie gemacht?
Roemers Dieses Bauwerk hat mich sehr beeindruckt, obwohl ich so viele Bunker besichtigt habe, aber niemals einen so großen wie den Regierungs- bunker. Die Tunnel hatten eine Länge von 19 Kilometern. Wenn man vor Ort ist, bekommt man tatsächlich ein Gefühl für die Atmosphäre des Kalten Krieges. Der Anblick der Räume, der Isolation, der langen Tunnel – das vergisst man nicht.
mm Der Atombunker im Ahrtal ist als Dokumentationsstätte und Museum des Kalten Krieges der Öffentlichkeit zugänglich. Kann dieser Ort vor allem auch Jugendlichen, die die Teilung der Welt in Ost und West nicht miterlebt haben, die Konfrontation zweier gesellschaftlicher Systeme vor Augen führen?
Roemers Absolut. Ich kann mir vorstellen, dass er auf Jugendliche mehr Eindruck macht als Reste der Berliner Mauer. In Marienthal bekommt man das Gefühl, zur Zeit des Kalten Krieges dort zu sein, weil es authentisch ist, der Besucher begibt sich auf eine unterirdische Zeitreise durch diesen Bunker. Ich würde jeder Schule raten, mit ihren Klassen diesen Bunker zu besuchen, weil er wirklich beeindruckend ist.
mm Relikte sind Überbleibsel, von denen die meisten hoffen, sie loszu- werden. Sie verwittern, aber sie sind immer noch da und erinnern wie Grabschriften an eine vergangene Epoche. Wollen Sie mit Ihren Foto- grafien auf Vergangenes hinweisen, zum Nachdenken anregen?
Roemers Ich sehe mich als Künstler, nicht als Aktivist. Ich möchte zeigen, was ein Krieg oder Konflikt anrichten kann – ob bei Menschen, Landschaf- ten oder Gesellschaften. Aber es ist kein politischer Protest, sondern eine künstlerische Herangehensweise. Wenn das dazu führt, dass Menschen zum Nachdenken gebracht werden, ist das wunderbar.